Training mit Kindern und Jugendlichen
Leude, weil wir unser Angebot für die Kids und Teens gerade ausbauen und da offensichtlich viel Nachfrage, auf der anderen Seite aber auch viel Unwissenheit besteht, wollte ich euch mal ein paar Takte zum Thema dalassen.
Ich glaube ich mach das in zwei Parts. Könnte aber auch anders kommen, weiß ich vorher immer nicht so genau und das im Nachhinein zu bearbeiten ist nicht mein Stil. One and done, ihr wisst.
Der erste Part wird sich mit Trainingsgestaltung für Kinder und Jugendliche im Allgemeinen beschäftigen und sich an einem Model entlanghangeln, dass ich euch zu dem Thema gern vorstellen möchte.
Part zwei beschäftigt sich dann mit Krafttraining im Speziellen, weil hierüber die meisten Mythen, Halbwahrheiten und genereller Bullshit durch die Gegend fliegt.
Part 1 – Das Youth Physical Development Model
Ich will euch hier eine Abbildung vorstellen und dann ein bisschen darüber schwafeln. Das Ganze habe ich aus einer Studie von Rhodri Loyd und Jon Oliver. Beim Namen Rhodri weiß man sofort, der Jung kann wahrscheinlich gut mit Schafen, offensichtlich hat er aber den Sprung aus den Walisischen Schluchten nach Cardiff in die Sportwissenschaft geschafft. Herzlichen Glückwunsch Rhodri! Auf jeden Fall haben die beiden Boys anhand einer Literaturrecherche ein Modell erstellt, anhand dessen das Training mit Kindern und Jugendlichen gesteuert werden kann. Wer Bock hat, hier ist ein Link zum Paper. Nun zur Abbildung:
Das Ganze gibt’s für Jungs und Mädels, ich hab jetzt mal die Abbildung für Mädchen genommen. Die Abbildung für Jungs sieht im Prinzip auch genauso aus, es ist nur alles um ein Jahr nach rechts verschoben. Außerdem ist sie Blau (…).
Grundsätzlich sollen in der Abbildung sogenannte „Windows of Opportunity“ dargestellt werden. Man geht davon aus, dass es Zeitfenster gibt in denen bestimmte Bewegungs- und Fitnessqualitäten besser, bzw schneller trainiert werden können. Es geht also nicht darum zu sagen: „im frühen Kindesalter sollte man auf keinen Fall Ausdauertraining betreiben“, sondern darum festzustellen, dass Ausdauertraining im späten jugendlichen Alter einen größeren Impact haben kann.
Oben seht ihr das chronologische Alter in Jahren, darunter die Einteilung in Entwicklungsphasen. Dann kommen zwei Zeilen deren Inhalte recht flexibel auf der Zeitleiste wandern können. Das kommt durch individuelle Unterschiede in der Entwicklung. Manche machen ihren Entwicklungssprung früher oder später als andere. Ihr kennt alle noch den 1,86m Freak mit Oberlippenflaum aus der 5. Klasse? Ganz genau, um den geht’s.
Dort seht ihr auch die Abkürzung „PHV“, das steht für „Peak Height Velocity“, also die maximale Wachstumsgeschwindigkeit in die Länge. Das ist ein wichtiger Zeitpunkt, denn dann schwemmen Sexualhormone den Körper, der Körper reagiert anders auf Training als vorher und man fängt an brachial zu stinken. Wichtig ist, dass das Training von Kindern und Jugendlichen idealerweise nicht nach chronologischem Alter sondern der biologischen Reife strukturiert wird. Am einfachsten orientiert man sich an eben diesem PHV. Den Zeitpunkt kann man relativ simpel berechnen, wer lustig ist kann das mal zuhause ausprobieren. Link zum PHV Calculator gibt’s hier. Das ist natürlich nur eine Richtung, im Endeffekt muss das eine Einzelentscheidung durch den Trainer bleiben. Geht übrigens nur mit Kindern ab 7 Jahren, darunter ist die Formel zu ungenau. Und ehrlich gesagt auch Quatsch.
Adaption nach Entwicklungsphasen
Darunter seht ihr die je nach Entwicklungsphase vorherrschende Adaptation. Das ist entweder vorwiegend neural oder eine Kombination aus hormoneller und neuraler Anpassung. Neurale Anpassungen sind Anpassungen die vom zentralen Nervensystem (ZNS) ausgehen. Da gehören Dinge wie das Zusammenspiel von Muskeln zu, also wie gut und intuitiv Muskulatur je nach Situation an- oder entspannen kann, wie genau diese Kontraktionen gesteuert werden können, wie gut Feedback Loops wie externe Reize (zb visuelle oder taktile) verarbeitet und in Bewegung umgesetzt werden können und vieles vieeeeles mehr. Koordination, Balance, Schneligkeit, Reaktionsfähigkeit, das sind so Schlagwörter die mir ad hoc einfallen (großes Latinum, props gehen raus an Frau Tschöpe). Sobald es hormonell wird, also irgendwann so zwischen 12 und 17 Jahren, fängt Hypertrophie an eine wichtigere Rolle in puncto Krafttraining zu spielen. Da fängt man an die Säulen zu bauen.
Wie gern hätte ich Beine wie Säulen. Wie Sarah. Anstattdessen trage ich weite Hosen um meine Currypieker zu verstecken. Da habt ihrs. Traurig.
Ok, wertvoller Einschub, zurück zum Thema. Wir gucken uns weiter die Abbildung aus der Studie zum Youth Physical Development Model an. Straight outta Gods country. Die ersten Zeilen haben wir durch, nu stehen wir vor dem großen Block „Physical Qualities“. Hier findet ihr unterschiedliche Komponenten von Fitness und Training. Je nachdem wie fett gedruckt, umso wichtiger in der jeweiligen Entwicklungsstufe. Wir gehen mal eins nach dem anderen durch:
FMS = Fundamtental Movement Skills. Darunter fallen Dinge wie Laufen, Springen, Werfen, Treten, Schlagen (man kann ja auch gegen einen Ball schlagen, wenn man eher peace mäßig drauf ist). Grundlegende Bewegungen also, die sich überall wiederfinden. Die sind ziemlich fett gedruckt in der Pre-PHV Phase, also in der frühen und mittleren Kindheit. Je Älter die Kids werden, desto weniger FMS Training brauchen sie offensichtlich, wobei man dabei auch immer das Trainingsalter berücksichtigen muss, sprich wielang betreibt das Kind schon Sport. Ein 7 Jahre Alter Junge der gerade angefangen hat sich sportlich zu betätigen braucht mehr FMS Einheiten als ein Junge, der bereits mit 4 Jahren Grundlagen gefestigt hat. Nichtsdestotrotz sollte ein kleiner Teil des Trainings immer FMS dominant bleiben, da bieten sich beispielsweise Warm Ups gut für an.
Gegenläufig dazu seht ihr „SSS“ = „Sport specific Skills“. Also Fertigkeiten die einem bestimmten Sport entsprechen. Vor- und Rückhände beim Tennis. Schusstechniken beim Fußball. Die Grundübungen Reißen und Stoßen im Gewichtheben. Ihr versteht was ich meine. Diese Dinge sollten erst relativ spät einen Großteil des Trainings ausmachen, wobei unser Kumpel Rhodri in seinem Paper anführt, dass es zu Motivationszwecken natürlich gut sein kann die ganz Lütten auch mal den Sport machen zu lassen für den sie halt eigentlich zum Training gehen. Hat ja keiner Bock den ganzen Tag n Schlagball zu werfen wenn er eigentlich Judo machen will.
Unterm Strich heißt das auch, dass die sportspezifische Ausbildung erst relativ spät beginnen sollte.
Mobility ist fast durchgehend ziemlich klein gedruckt (puh… allles richtig gemacht), wobei die für den Sport grundlegende Range of Motion natürlich beherrscht werden muss. Wär kacke wenn ich Gewichtheben lernen will aber nicht sauber in die Hocke komm. Außerdem wissen wir auch, dass eine höhere Mobilität (ich spreche von aktiver Beweglichkeit) verletzungspräventiv wirken kann. ABER: wer neulich beim Mobility Workshop von Team Supple war, weiß jetzt: Mobility ist auch nur Krafttraining. Geile Jungs. Vielleicht lass ich mir lange Haare wachsen. So lässig einfach.
Agility ist immer ein schwieriges Thema weil es dazu wirklich wenig Literatur gibt, obwohl es in fast jeder Sportart, zumindest aber in jeder Spielsportart ein riesiger Faktor ist. Da Agilität einen großen neuralen Anteil hat, ordnen unsere beiden Shepherds es den früheren Entwicklungsstufen zu. Meines Erachtens zu recht. Hab noch nie ein 11 Jähriges Kind gesehen dass Richtungswechsel wie ne Seegurke hinlegt und nach 4 Jahren Training plötzlich zur Gazelle wird. Kannste noch so viel um die Hütchen rennen.
Speed– und Powertraining fallen aus demselben Grund in die gleichen Phasen. Wir haben wieder einen hohen neuronalen Anteil: Wieviel Signal kommt wie gut zur richtigen Zeit in der Muskulatur an? Darum geht’s dabei. Ja, wenn man sich zB Sprinten als Ausdrucksweise von Schnellkraft anguckt ist auch viel Technik dabei (hat der ein oder andere vll gemerkt letzten Sommer) aber wer sich nicht schnell bewegen kann, der wird auch mit der korrekten Technik nur langsam schneller (lol). Wenn man sich pures Power Output anguckt, sieht es ein wenig anders aus, hier spielt Muskelmasse durchaus eine Rolle. Da muss die Frage dann also heißen: Wieviel Signal kommt wie gut zur richtigen Zeit an wieviel Muskulatur an?
Und nu Krafttraining. FETT FETT FETT FETT in allen Entwicklungsphasen. SAY WHAT, alda gleich mal ne Alustange für den Lütten bestellen?! Naja, Krafttraining ist ja nicht immer gleich ne Langhantel. Es gibt unendlich viele Formen um Kraft zu entwickeln. Im frühen Kindesalter passiert das fast automatisch durchs Rennen, Springen, Werfen, Klettern usw (FMS, ihr erinnert euch). Später, wenn die Kids lernen dass es ein Tempo zwischen Stehen und Vollsprint gibt, sollte das Ganze ein bisschen mehr ausdifferenziert werden, nichtsdestotrotz bleibt der Schwerpunkt erstmal bei Körpergewichtsübungen. Erst wenn die FMS Einheiten weniger werden, sollten Grundtechniken von Unterstützungsübungen wie Squats, Presses, etc eingeführt werden.
Hypertrophie spielt ab dem PHV eine tragende Rolle im Training. Sobald der Körper im hormonellen Überschuss ist geht das fast von allein. Natürlich gibt es auch da starke individuelle Unterschiede, trotzdem ist das der richtige Zeitpunkt um ein bisschen Fleisch auf den Rahmen zu hängen. Vll erinnert ihr euch noch dran wie Aaron vor einigen Jahren als 16 jähriges Würstchen bei uns in Box gestolpert ist. Damals hab ich erst nur seinen Vatter gesehen, gegen das Licht ist Aaron irgendwie verschwunden. Wie dem auch sei, es war klar, dass er seine PHV kurz hinter sich haben muss, dementsprechend haben wir Aaron auf ein Kraftprogramm gesetzt, das ganz ähnlich aussah wie unsere jetzigen FBB Templates. The rest is history wie man so schön sagt.
Endurance & Metabolic Conditioning fallen in der Auflistung ziemlich ab, erst ab dem späten jugendlichen Alter scheint das Training eine größere Rolle zu spielen. Hierbei muss man natürlich immer beachten, was die Sportspezifik ist. Zeigt ein Mädchen in der Leichtathletik Talent und Freude für Mittelstrecken, sollte ich ihr vermutlich nicht verbieten 800m zu rennen, um sie zu einer guten 800m Läuferin zu machen. Erinnert euch, die Abbildung beschreibt nur, wann welche „Windows of Opportunity“ geöffnet sind.
Abschließend muss man solche Modelle natürlich immer auch ein wenig kritisch betrachten. Zum einen gibt es keine definitiven „Do’s and Dont‘s“ im Training. Jeder Mensch muss einzeln betrachtet werden um die richtigen Entscheidungen in der Entwicklung zu treffen. Und da liegt schon der nächste Haken: Das Physical Youth Development Model ist ausgerichtet auf Kinder und Jugendliche die Leistungssport betreiben. Es geht darum das Training so auszurichten, dass körperliche Leistungsfähigkeit optimiert wird. Inwiefern das hilfreich ist für ein Kind, das vor allem mit der Perspektive zum Sport geht, langfristig gesund zu bleiben und Spaß zu haben, ist dann fraglich.
Anyways, das Ding ist auf jeden Fall ein hilfreiches Tool um Training langfristig zu gestalten und wir nutzen es unter anderem um unser Kids und Teensprogramm zu entwerfen.
So, nu is aber Schicht im Schacht.
Jetzt könnt ihr weiterlesen:
Zu Part 2: Krafttraining für Kinder und Jugendliche
Oder: wer jetzt Böcke hat seine Kiddies oder Teenies ranzuführen guckst Du hier:
Hab euch lieb,
Geißlein
Quelle: Figure 2. “The Youth Physical Development Model: A New Approach to Long-Term Athletic Development” Rhodri S. Lloyd, PhD, CSCS*D1 and Jon L. Oliver, PhD21 Faculty of Applied Sciences, University of Gloucestershire, United Kingdom; and 2Cardiff School of Sport, Cardiff Metropolitan University, United Kingdom